Dionysos: Gott des Weines

Dionysos Steckbrief

  • Aufgabe: Gott des Weines, der Fruchtbarkeit und Vegetation, der Freude, des Wahnsinns; Patron von Ekstase / Rausch, Fest und Theater (Tragödie und Komödie)
  • Attribute: Thyrsosstab, Efeukranz, Weinreben/Trauben, Kantharos (Trinkbecher), Panther/Leopard als Begleiter
  • Vater: Zeus
  • Mutter: Semele
  • Griechischer Name: ΔÎčÏŒÎœÏ…ÏƒÎżÏ‚ (DiĂłnysos, latinisiert Dionysus)
  • Römischer Name: Bacchus (auch Liber)
Dionysos

Wer war Dionysos?

Dionysos ist der griechische Gott des Weines 🍇, der Vegetation und der ekstatischen Begeisterung. In den Mythen erscheint er oft als „Fremdling“, dessen Kult sich ĂŒber die gesamte griechische Welt ausbreitete; sein Name ist bereits in der mykenischen Zeit belegt (Linear-B). Zu seinem Gefolge gehören MĂ€naden und Satyrn, sein Auftritt ist hĂ€ufig von rauschhaften FestzĂŒgen begleitet.

Der Weingott Dionysos zĂ€hlt zu den griechischen Göttern mit der grĂ¶ĂŸten FĂŒlle an Beinamen und heißt daher auch PolyĂŽnomos, „der Vielnamige“. Wegen des lĂ€rmenden Gefolges nannten ihn Griechen und Römer zudem Bromios („LĂ€rmer“) sowie Bacchus bzw. Bakchos („Rufer“). In Dichtung und Poesie erscheint er hĂ€ufig als Lysios oder LyĂ€us („Sorgenbrecher“), gelegentlich auch als Anthroporrhaistes („Menschenzerschmetterer“). Er gilt als die Wiederauferstehung von Sabazios (vgl. Diodor 4).

Dionysos Aufgaben

Dionysos verkörpert die Kraft des Weinstocks und die Fruchtbarkeit der Natur; er bringt den Menschen den Wein und lehrt den Umgang mit ihm. Als Gott des Rausches und der Ekstase löst er Grenzen und stiftet Gemeinschaft – besonders in kultischen Feiern. Er ist zugleich Patron des Theaters: Athenische Feste wie die (Stadt-)Dionysien und die Lenaia standen in seinem Zeichen und wurden zum Motor der Tragödie und Komödie.

Dionysos Eigenschaften

Ambivalenz prĂ€gt sein Wesen: Er spendet Freude, Trost und Befreiung, kann aber auch Wahnsinn (mania) und Kontrollverlust bringen. „Epiphanisch“ und wandlungsfĂ€hig ĂŒberschreitet er GegensĂ€tze – jung und alt, mild und furchtbar, zivilisiert und wild – bewegt sich zwischen Ordnung und Auflösung und steht fĂŒr die DurchlĂ€ssigkeit von Grenzen. Seine AnhĂ€ngerinnen, die MĂ€naden, geraten in ekstatische Raserei; der Thyrsosstab (auch Bacchusstab), Efeu und der Kantharos (antikes, becherartiges TrinkgefĂ€ĂŸ) gehören zu seinen Symbolen.

Dionysos Bedeutung

Dionysos bĂŒndelt Naturkraft, Rausch und Ritual zu einem Kult, der soziale und religiöse Rollen temporĂ€r umkehrt und dadurch Integration, Reinigung und Erneuerung ermöglicht. In Athen prĂ€gte seine Verehrung die stĂ€dtische Festkultur und die Entwicklung des Dramas; in der römischen Welt wurde er als Bacchus weitergefĂŒhrt. So steht er kulturgeschichtlich fĂŒr KreativitĂ€t, Gemeinschaftserlebnis und die produktive Spannung zwischen Maß und Überschreitung.

Herkunft, Geburt und Kindheit Dionysos

Dionysos entstammt der Verbindung von Zeus und der thebanischen Königstochter Semele (vgl. Hesiod, Theogonie 940-942). Durch Heras Intrige verlangte Semele, Zeus in seiner wahren Gestalt zu sehen, worauf sie vom Blitz verzehrt wurde. Zeus rettete den ungeborenen Dionysos, nĂ€hte ihn in seinen Schenkel ein und brachte ihn selbst zur Welt – daher der Beiname „der Zweimalgeborene“.

Nach der Schenkelgeburt vertraute Zeus das Kind Hermes an. In einer weitverbreiteten Fassung brachte Hermes den Knaben zu Ino und Athamas und ließ ihn als MĂ€dchen aufziehen, bis Hera sie in den Wahnsinn trieb; in anderen Fassungen wird Dionysos zuerst oder anschließend den Nymphen des Berges Nysa anvertraut.

Hinweis: Andere Überlieferungen nennen Demeter, Io, Persephone oder Lethe als Mutter.

Die Kindheit des Gottes spielt in mythischer Ferne: Nysa liegt „fern von den Menschen“, ihr Ort wird unterschiedlich verortet (u. a. NĂ€he zu Ägypten, Anatolien, Libyen, Äthiopien). Genannt werden als Pflegerinnen Nysiaden oder Hyaden; gelegentlich ĂŒbernimmt Rhea die Obhut. Diese Vielgestaltigkeit unterstreicht Dionysos’ Fremdheitsmotiv.

Eine eigenstĂ€ndige, orphische Tradition erzĂ€hlt von einem Ă€lteren Dionysos (Zagreus), Sohn von Zeus und Persephone, der von den Titanen zerrissen wird. Sein Herz wird gerettet; Dionysos wird daraufhin von Zeus erneut hervorgebracht – in spĂ€terer Überlieferung durch die Geburt aus Semele – was die Vorstellung der „doppelten“ Geburt vertieft.

Als Pfleger und Lehrer erscheinen je nach Quelle Silenos, Nymphen und andere göttliche Gestalten; die Erziehung in der Wildnis bereitet das spÀtere Wirken des Gottes zwischen Zivilisation und Natur vor.

Ehe und Liebschaften von Dionysos

Dionysos’ Ehefrau ist Ariadne, die kretische Königstochter. Nach ihrer ZurĂŒcklassung durch Theseus findet und heiratet sie der Gott—klassisch auf Naxos. In vielen Fassungen wird Ariadne vergöttlicht und erhĂ€lt als Hochzeitsgabe eine goldene Krone, die als Sternbild Corona Borealis (Nördliche Krone) an den Himmel versetzt wird.

Neben der Ehe sind zahlreiche Liebschaften ĂŒberliefert. Zu den göttlichen Beziehungen zĂ€hlen eine kurze Verbindung mit Aphrodite (in einzelnen Traditionen Mutter des Priapos) sowie Begegnungen mit Aura und Nikaia, Nymphen-jungfrĂ€ulichen Gestalten, die in spĂ€thellenistischer und spĂ€tantiker Dichtung unter dem Einfluss von Wein und Schlaf mit Dionysos verbunden werden; ihnen werden teils Kinder wie Iakkhos oder Telete zugeschrieben.

Unter den Sterblichen erscheint Althaia, Königin von Kalydon: Dionysos wirbt um sie mit dem EinverstĂ€ndnis ihres Gatten Oineus; als Gegengabe erhĂ€lt Oineus die Rebe. Weitere Gestalten sind Erigone (durch „Trauben“ verfĂŒhrt), Pallene (nach einem Wettkampf gewonnen) und Physkoa aus Elis. Beroe wird von Dionysos und Poseidon zugleich umworben, wobei der Meeresgott obsiegt.

Auch mĂ€nnliche Beziehungen sind belegt: Der schöne JĂŒngling Ampelos gilt als Geliebter des Gottes; sein Tod fĂŒhrt – je nach Quelle – zur Verwandlung in die erste Rebe oder zur Einsetzung als Sternbild des „Weinlesers“. Eine Sondertradition erzĂ€hlt von Polymnos/Hyplipnos aus Argos, dem Dionysos eine intime Gegenleistung verspricht und nach dessen Tod ein symbolisches, phallisches Grabritual vollzieht.

Die Vielfalt der Beziehungen spiegelt die Weite des dionysischen Mythos: Verbindung von Hochzeit und Apotheose (Ariadne), von aitiologischen ErzĂ€hlungen (Weinstock, Sternbilder), regionalen KultbezĂŒgen (Elis, Bithynien, Thrakien) und der doppelten Natur des Gottes zwischen Lust, Rausch und GrenzĂŒberschreitung.

Kinder, Töchter und Söhne des Dionysos

Die Überlieferung nennt eine breite Nachkommenschaft, die sowohl göttliche Personifikationen des dionysischen Kults als auch eponyme Herrscher von Weinlandschaften umfasst. Varianten sind hĂ€ufig und spiegeln regionale Traditionen.

  • Göttliche Nachkommenschaft: Genannt werden Priapos (meist mit Aphrodite), Iakkhos (teils „dritter Dionysos“, in einigen Fassungen Sohn des Gottes mit der Titanin Aura), Telete (mit der Nymphe Nikaia), Methe (Trunkenheit), Thysa (bacchische Raserei), bisweilen Hymenaios (Hochzeitsgesang), seltener die Chariten oder Pasithea sowie der thrakisch-phrygische Sabazios in synkretistischen Traditionen.
  • Sterbliche Kinder und eponyme Könige: Besonders zahlreich sind die Kinder mit Ariadne: Oinopion (Chios), Staphylos (Thasos/Bubastos), Thoas (Lemnos), Peparethos (Peparethos/Skopelos), Phlias bzw. Phliasos und Eurymedon (Phleius/Phlios), Keramos (Kerameikos in Athen), ferner Phanos; teils erscheint auch Maron (Ismaros) – hĂ€ufig jedoch als Enkel ĂŒber Euanthes und Oinopion. Diese Genealogien erklĂ€ren die Verbindung des Gottes zu bedeutenden Weinregionen.
  • Weitere Zuschreibungen und lokale Linien: In Elis gilt Narkaios (mit Physkoa) als erster Priester des Dionysos. Eine Mindertradition nennt Deianeira – bekannter als Tochter des Oineus und Gattin des Herakles – als Kind des Gottes mit Althaia. Solche Varianten entstehen aus kultischen AnsprĂŒchen einzelner StĂ€dte und Adelsgeschlechter.

Dionysos Geschwister

Als Sohn des Zeus und der sterblichen Semele besitzt Dionysos keine sicher bezeugten Vollgeschwister; als „Geschwister“ gelten die zahlreichen weiteren Kinder des Zeus.

  • Göttliche Halbgeschwister (Auswahl): Apollo und Artemis (mit Leto), Hermes (mit Maia), Athena (aus Metis/Zeus), Ares sowie – je nach Überlieferung – Hephaistos und Eileithyia, ferner Hebe, Persephone und teils Aphrodite (in Traditionen, die sie als Tochter von Zeus und Dione sehen).
  • Sterbliche und heroische Halbgeschwister (Auswahl): Herakles, Perseus, Helena, Minos, Rhadamanthys, Sarpedon und Aiakos. Diese Linien erklĂ€ren oft Herrscher- und Stammsgenealogien in der mythologischen Überlieferung.
  • Göttliche „Geschwistergruppen“: Die Musen (Töchter des Zeus und der Mnemosyne), die Chariten/Gracen (meist mit Eurynome) sowie die Horen (mit Themis) gelten in vielen Fassungen ebenfalls als Kinder des Zeus und damit als Halbgeschwister des Dionysos.

Mythen und Sagen ĂŒber Dionysos

Die Geschichten, Sagen und Mythen von Dionysos sind vielfÀltig.

Pentheus und die Bakchen (Theben)

Dionysos kehrt nach Theben zurĂŒck, setzt die Frauen der Stadt in ekstatische Raserei und fordert Anerkennung seines Kultes. König Pentheus versucht die Feiern zu verbieten, spioniert verkleidet die MĂ€naden und wird – von seiner Mutter Agave an der Spitze – im Rausch zerrissen (Sparagmos). Der Mythos markiert die Konsequenz kultischer Verweigerung und die Macht dionysischer Epiphanie.

Die Tyrrhenischen Piraten

SeerĂ€uber entfĂŒhren den Gott, der sich als schöner JĂŒngling zeigt. Auf See lĂ€sst Dionysos Reben am Mast sprießen, verwandelt Wasser in Wein, ruft Tiere herbei und offenbart sein Wesen; die EntfĂŒhrer springen ĂŒber Bord und werden zu Delfinen. Nur der helfende Steuermann entgeht der Strafe.

Lycurgos von Thrakien

Der thrakische Herrscher bekĂ€mpft Dionysos und sein Gefolge. Der Gott schlĂ€gt ihn mit Wahnsinn; Lycurgos erschlĂ€gt in der Verblendung den eigenen Sohn, worauf das Land verdorrt. Erst mit dem Tod des Königs kehren Fruchtbarkeit und Ordnung zurĂŒck.

Ariadne und Naxos

Auf Naxos findet Dionysos Ariadne, nimmt sie zur Gattin und erhebt sie in den Kreis der Unsterblichen; ihre Krone wird als Corona Borealis an den Himmel versetzt. In einer argivischen GegenĂŒberlieferung gerĂ€t Dionysos mit Perseus in Konflikt; nach der Versöhnung ist der Kult des Gottes in Argos fest etabliert.

Der indische Zug

In spĂ€ten ErzĂ€hlungen fĂŒhrt Dionysos einen Siegeszug bis nach Indien, kehrt auf einem Elefanten triumphierend zurĂŒck und stiftet zweijĂ€hrige Feste. Der Mythos deutet die weite Ausbreitung seines Kultes und seine Rolle als Kulturbringer.

Ampelos

Der schöne JĂŒngling Ampelos, Liebling des Gottes, stirbt tragisch (je nach Fassung durch Sturz oder einen Stier). Aus seinem Leib lĂ€sst Dionysos den Weinstock wachsen; der Wein wird so zum Zeichen von Erinnerung, Trost und erneuerter Lebensfreude.

Ikarios und Erigone

Dionysos weiht Ikarios in den Weinbau ein. Von Bauern, die den Rausch fĂŒr Vergiftung halten, wird Ikarios getötet; Erigone erhĂ€ngt sich ĂŒber dem Grab. Eine Pest sucht Athen heim, bis SĂŒhneriten und das Schaukelfest (Aiora) eingefĂŒhrt werden – aitiologisch fĂŒr den Umgang mit Wein und Rausch.

Die RĂŒckkehr des Hephaistos

Hephaistos hĂ€lt Hera in einem kunstvollen Thron gefangen und weigert sich, auf den Olymp zurĂŒckzukehren. Dionysos gewinnt ihn durch Wein und Geselligkeit, fĂŒhrt ihn auf einem Esel heim und erwirkt die Befreiung. Der Gott setzt sich nicht durch Gewalt, sondern durch Gemeinschaftsbildung durch.

Die Minyaden

Drei Töchter des Minyas verweigern die Teilnahme an den dionysischen Festen. Dionysos schlĂ€gt sie mit Raserei; sie zerreißen in der Manie ein Kind und werden in nachtaktive Tiere (oft: FledermĂ€use) verwandelt. Der Mythos mahnt kultische Teilnahme und respektvollen Umgang mit dem Rausch.

Dionysos und Midas

Auf der Suche nach dem verlorenen Silenos erweist Midas dem GefĂ€hrten des Gottes Gastfreundschaft. Als Dank gewĂ€hrt Dionysos einen Wunsch; Midas erbittet die „goldene BerĂŒhrung“, bereut sie und wird angewiesen, die Gabe im Fluss zu lösen – eine ErzĂ€hlung ĂŒber Maß, Gier und Reinigung.

Weitere Motive

Verwandlungen (etwa von Gegnern in Tiere), die Begleitung durch Satyrn und MĂ€naden, der Thyrsos als wunderwirkender Stab sowie die wiederholte GrenzĂŒberschreitung zwischen Zivilisation und Wildnis strukturieren viele Episoden. Sie zeigen Dionysos als Gott, der Freude spendet, Maß ĂŒberschreitet und zugleich Ordnung erneuert.

Verehrung von Dionysos

Die Verehrung des Dionysos verband festliche Ausgelassenheit mit ernsten, rituellen Formen. Kennzeichnend sind ekstatische TÀnze, Musik, Maskierung, Weinlibationen und die Teilnahme von thíasoi (Vereinen) mit MÀnaden und Satyrn. Neben den öffentlichen Festen existierten dionysische Mysterien, die durch Ritus, Trance und Initiation Gemeinschaft stifteten.

Dionysoskult

Zentrum der Kultpraxis in Athen war das Heiligtum des Dionysos Eleuthereus am SĂŒdhang der Akropolis. Das angrenzende Theater war ursprĂŒnglich Teil des Heiligtums; hier wurden Tragödien, Komödien und Satyrspiele als gottesdienstliche Darbietungen aufgefĂŒhrt. Das Ensemble prĂ€gte die attische Festkultur bis in römische Zeit.

Wichtige Feste in Athen:

  • Stadt-Dionysien (Große Dionysien): Prozessionen, Opfer und dramatische Agone im FrĂŒhjahr; stĂ€dtisches Großereignis mit zentraler Rolle fĂŒr Tragödie und – ab dem 5. Jh. v. Chr. – Komödie.
  • Lenaia: Winterfest (Monat Gamelion); starkes Gewicht auf Komödie und kultische UmzĂŒge.
  • LĂ€ndliche Dionysien: Dez./Jan.; dörfliche Prozessionen mit phallischen Symbolen (phallophorĂ­a), Spiele und AuffĂŒhrungen.
  • Anthesterien: Dreitagefest des neuen Weins (Pithoigia, Choes, Chytroi) am Übergang zum FrĂŒhjahr; Libationen und Riten zwischen Freude und Ahnenkult.
Darstellung Akropolis Antike

Tempel, HeiligtĂŒmer und KultstĂ€tten

KultstĂ€tten, Tempel und heilige Orte sind im ganzen griechischen Raum belegt. Auf Naxos (Yria) bestand eines der wichtigsten HeiligtĂŒmer des Gottes seit der Bronzezeit; ein monumentaler Archaik-Tempel wurde restauriert. In Theben stand der Dionysos als Lysios im Fokus; das Heiligtum lag nahe dem Theater und knĂŒpfte an mythische Erinnerungsorte (Semeles Grab) an. Eleutherai gilt als Herkunftsort des athenischen Kultbildes und als BrĂŒcke der KultĂŒbertragung nach Athen. In Ikarion (Attika) verbanden sich Weinmythos, frĂŒhe BĂŒhnenpraxis und lokaler Kult. In Delphi teilten sich Dionysos und Apollon den Jahreslauf; die thyiaden feierten auf dem Parnass ekstatische Winterriten.

In der hellenistischen und römischen Epoche organisierten die „KĂŒnstler des Dionysos“ ĂŒberregionale AuffĂŒhrungen und Wettbewerbe; zugleich verbreiteten sich dionysische Vereine in StĂ€dten Kleinasiens und Griechenlands. In Rom fĂŒhrten exzessive Formen der Bacchanalien 186 v. Chr. zum senatus consultum de Bacchanalibus, das den Kult stark regulierte – ein Hinweis auf die soziale Sprengkraft und PopularitĂ€t dionysischer Feiern.

Rituelle Elemente reichen von Prozessionen (pompai) mit kultischen TrĂ€gern, Masken und GesĂ€ngen bis zu phallischen UmzĂŒgen, bei denen Fruchtbarkeit öffentlich performativ vergegenwĂ€rtigt wurde. In vielen HeiligtĂŒmern verbanden Altar, Prozessionswege und BĂŒhnenraum Religion, Fest und Theater zu einer Einheit – ein Alleinstellungsmerkmal des Dionysoskults in der antiken Mittelmeerwelt.

Dionysos als Olympier

Der Status des Dionysos als Olympier ist nicht einheitlich ĂŒberliefert. Der Kanon der „Zwölf“ war in der Antike weder festgelegt noch ĂŒberall gleich; Zusammensetzung und ZĂ€hlweise wechselten je nach Region, Epoche und kultischer Praxis.

In manchen Listen ersetzt Dionysos die Hestia als olympischen Gott. Diese Tradition erklĂ€rt die Zwölfzahl, indem Hestia – als HĂŒterin des Herdfeuers eher hĂ€uslich verortet – ihren Platz zugunsten des öffentlich gefeierten Gottes abtritt. Andere Überlieferungen halten Hestia im Kreis und zĂ€hlen Dionysos zusĂ€tzlich, sodass er als „dreizehnter“ Gott erscheint. Beide Modelle spiegeln unterschiedliche Schwerpunktsetzungen: hĂ€uslich-statische Ordnung versus festlich-öffentliche Dynamik.

Mehrere Mythen betonen Dionysos’ spĂ€tere Anerkennung. Er gilt als wandernder Gott, der seinen Kult in der Welt etabliert und erst danach dauerhaft in den Olymp aufgenommen wird. Diese narrative „VerspĂ€tung“ erklĂ€rt seine doppelte Verortung: einerseits göttliches Mitglied des Olymp, andererseits GrenzgĂ€nger, dessen Epiphanien in Prozession, Tanz und Rausch vor allem unter Menschen stattfinden.

Kultisch und ikonographisch zeigt sich diese Ambivalenz darin, dass Dionysos sowohl auf Darstellungen im Kreis der Olympier erscheint als auch an der Spitze festlicher ZĂŒge mit MĂ€naden und Satyrn steht. In StĂ€dten wie Athen prĂ€gten seine Feste das öffentliche Leben; Theater und Prozession fungierten als Schnittstelle zwischen göttlicher SphĂ€re und stĂ€dtischer Gemeinschaft.

Er gehört in Teilen der Tradition zum Olymp – teils anstelle Hestias, teils zusĂ€tzlich – bleibt zugleich der epiphanische Gott, der die Distanz zwischen Olymp und menschlicher Festgemeinschaft ĂŒberbrĂŒckt.

  • Platon, Phaidros 246e-247a – Prozession der Götter „in elf Scharen“; Hestia bleibt im Haus, „die ĂŒbrigen der Zwölf“ ziehen aus. Klassische Stelle, die eine flexible Zwölfergruppe voraussetzt.
  • Apollodor, Bibliothek 3.5.3-4 – Nach Anerkennung seiner Gottheit fĂŒhrt Dionysos Semele (Thyone) aus Hades empor und „steigt mit ihr zum Himmel“ (klare Formulierung der Vergöttlichung und Aufnahme).
  • Herodot 2.52-53; 2.145-146 – Die „zwölf Götter“ als Kategorie; bei den Hellenen gelten Herakles, Dionysos und Pan als spĂ€teste der Götter (spĂ€tere EinfĂŒhrung des Dionysos-Kults).
  • Parthenon, Ostfries (5. Jh. v. Chr.) – Götterversammlung mit Hermes, Dionysos, Demeter u. a.; starkes ikonographisches Argument, dass Dionysos in Athen zum erlesenen Götterkreis gezĂ€hlt wurde.

Antworten auf die wichtigsten Fragen zu Dionysos

Gott des Weines, der Vegetation und Fruchtbarkeit, der Ekstase und des Theaters; zugleich GrenzgÀnger zwischen Ordnung und Rausch. In der griechisch-römischen Religion wird er auch als Bacchus bezeichnet.

Mythen schreiben ihm die Entdeckung des Weinstocks und die EinfĂŒhrung des Weinbaus sowie der Kelterkunst bei den Menschen zu (etwa ĂŒber die Gestalt des Ikarios). Wein symbolisiert bei ihm Freude, Gemeinschaft und rituelle Ekstase.

Vor allem Naxos: Hier findet der Gott Ariadne und heiratet sie; auf der Insel bestand ein bedeutendes Heiligtum (Yria) mit sehr frĂŒher KultkontinuitĂ€t.

Ja. Die klassische Tradition nennt Zeus als Vater und Semele als Mutter; schon die Homerischen Hymnen bezeichnen ihn als „glĂ€nzenden Sohn des Zeus und der Semele“.

In der antiken Überlieferung besteht kein allgemeines Trinkverbot fĂŒr den Gott; Wein ist sein Element und Kultsymbol. Das Motiv eines Verbots stammt aus moderner Popkultur (z. B. „Percy Jackson“), wo Zeus Dionysos zur Strafe den Weingenuss untersagt – eine literarische Erfindung ohne antikes Pendant.

Im römischen Kontext entspricht Dionysos Bacchus; zudem wurde er mit dem italischen Liber identifiziert. Unterschiede liegen vor allem in römischen Kultformen (Bacchanalien) und Akzenten, nicht in der Gottheit selbst.

WeiterfĂŒhrende Informationen & Quellen

  • Griechische Mythologie (Griechenland Guru)
  • Griechische Götter Stammbaum, ebenda
  • Griechische Halbgötter, ebd.
  • Antikes Griechenland, ebd.
  • Anne Ley: Dionysos. In: Der Neue Pauly (DNP). Band 3, Metzler, Stuttgart 1997, ISBN 3-476-01473-8, Sp. 651-664.
  • Friedrich Wilhelm Hamdorf: Dionysos-Bacchus. Kult und Wandlungen des Weingottes. Callwey, MĂŒnchen 1986.
  • Marion Giebel: Das Geheimnis der Mysterien. Antike Kulte in Griechenland, Rom und Ägypten. Artemis, ZĂŒrich/MĂŒnchen 1990, ISBN 3-7608-1027-6, S. 55-88.
  • Anton F. Harald Bierl: Dionysos und die griechische Tragödie: politische und „metatheatralische“ Aspekte im Text (Classica Monacensia Band 1). Narr, TĂŒbingen 1991, ISBN 3-8233-4861-2 (Dissertation UniversitĂ€t MĂŒnchen 1990).
  • Karl KerĂ©nyi: Die Götter- und Menschheitsgeschichten. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1951 (Die Mythologie der Griechen, Band 1; 19. Auflage, Deutscher Taschenbuch-Verlag, MĂŒnchen 1998, ISBN 3-423-30030-2).
  • Karl KerĂ©nyi: Dionysos: Urbild des unzerstörbaren Lebens. Klett-Cotta, Stuttgart 1994, ISBN 3-608-91686-5
  • Walter F. Otto: Dionysos – Mythos und Kultus. Klostermann, Frankfurt am Main 1933.
  • Hesiod, Theogonie 940-942, 947-949