Anastenaria Ritual in Griechenland

Anastenaria Feuerlauf

Das traditionelle Barfuß-Feuerlaufritual „Anastenaria“

Anastenaria (griechisch Αναστενάρια) ist ein traditionelles Ritual, das jedes Jahr im Mai in einigen nordgriechischen Dörfern gefeiert wird. Im Mittelpunkt stehen ekstatische Tänze und ein spektakulärer Feuerlauf, bei dem die Teilnehmenden barfuß über glühende Kohlen schreiten. Sie geraten dabei in Trance und bleiben – so der Glaube – durch göttlichen Beistand unverletzt. Dem Ritual wird eine heilende Wirkung zugeschrieben: Die Anhänger sind überzeugt, dass die ekstatische Erfahrung Krankheiten abwehren oder lindern kann.

Herkunft, Wurzeln und Überlieferung

Das Anastenaria-Ritual stammt ursprünglich aus der historischen Region Thrakien. Dort wurde der Feuerlauf wohl schon vor Jahrhunderten praktiziert. Einige Forscher vermuten einen vorchristlichen Ursprung, da die Tänze und Trancezustände an antike Kulte wie den Dionysos-Kult erinnern. Mit der Christianisierung verschmolzen jedoch heidnische Bräuche der griechischen Mythologie mit der orthodoxen Heiligenverehrung. Legenden berichten, die Heiligen Konstantin und Helena hätten einst Gläubigen in Thrakien geholfen, Ikonen aus einem brennenden Gotteshaus zu retten, wobei niemand zu Schaden kam. Nach 1923 gelangte der Brauch mit griechischen Flüchtlingen nach Nordgriechenland, wo er seither jedes Jahr praktiziert und an die nächste Generation weitergegeben wird.

Ritueller Ablauf

Traditionell erstreckt sich das Anastenaria-Fest über drei Tage um den 21. Mai (dem Namenstag der Heiligen Konstantin und Helena):

  • Vorabend (20. Mai): Im Konaki, dem Versammlungsraum der Gemeinde, kommen die Anastenariden mit ihren Ikonen zusammen. Zu den Klängen von Leier und Trommel tanzen sie stundenlang in einem sich stetig steigernden Rhythmus. Viele geraten dabei in ekstatische Trance.
  • Festtag (21. Mai): Am Morgen werden die Ikonen mit Weihwasser gesegnet und oft ein Opfertier geschlachtet. Am Abend entfacht die Gemeinde ein großes Feuer, bis glühende Kohlen übrig bleiben. Nach Tänzen im Kreis um die Glut schreiten die Teilnehmer nacheinander mit ihren Ikonen in den Händen barfuß über die heißen Kohlen. Keiner der Tänzer erleidet Verbrennungen.
  • Ausklang (22. Mai): Am Folgetag klingt das Fest mit weiteren Tänzen, Gebeten und einem gemeinsamen Mahl – bei dem traditionell das Fleisch des Opfertiers verzehrt wird – langsam aus.

Spirituelle und psychologische Dimension

Die Gemeinschaft der Anastenaria versteht ihren Feuerlauf als Akt tiefen Glaubens. Viele Tänzerinnen und Tänzer berichten, während der Ekstase von einer höheren Macht „ergriffen“ zu werden – in ihrem Verständnis geleiten die Heiligen sie schützend durch das Feuer. In diesem Zustand empfinden die Beteiligten weder Angst noch Schmerzen. Der erfolgreiche Gang über die Kohlen wird als Zeichen göttlicher Gnade angesehen und mit spiritueller Reinigung und Heilung gleichgesetzt. Wissenschaftler erklären das Phänomen hingegen mit natürlichen Ursachen – etwa der kurzen Kontaktzeit mit isolierenden Kohlen und einer durch Trance erhöhten Ausschüttung von Adrenalin und Endorphinen, die das Schmerzempfinden reduzieren. Für die Gläubigen steht jedoch der Glaube im Vordergrund, der ihnen Kraft und Zuversicht verleiht.

Gesellschaftliche Funktionen

Innerhalb der Anastenaria-Gemeinden erfüllt das Ritual wichtige soziale Funktionen. Ursprünglich half es den aus Thrakien stammenden Flüchtlingen, in der neuen Heimat ihren Zusammenhalt und ihre Identität zu bewahren. Bis heute stärkt die alljährliche Durchführung des Festes das Gemeinschaftsgefühl im Dorf. Ein erfahrener Anführer (mancherorts Archianastenaris genannt) koordiniert das Geschehen, während jüngere Mitglieder nach und nach in die Tradition hineinwachsen. Häufig machen mehrere Generationen gemeinsam mit, wodurch die überlieferten Lieder, Tänze und Abläufe lebendig bleiben. Die gemeinsam erlebte Ekstase und die Überwindung von Angst schweißen die Gruppe eng zusammen und festigen ihr Wir-Gefühl.

Moderne Relevanz und Herausforderungen

Heute bewegt sich die Anastenaria im Spannungsfeld zwischen authentischem Brauchtum und touristischem Interesse. Die Gemeinden legen großen Wert darauf, den spirituellen Charakter des Rituals zu bewahren, doch das eindrucksvolle Feuerlaufen lockt auch immer mehr Schaulustige an. Inzwischen verfolgen vielerorts zahlreiche Besucher hinter Absperrungen das Spektakel. Diese Popularität birgt jedoch die Gefahr, dass der Brauch zur bloßen Show wird. Gleichzeitig hat die öffentliche Aufmerksamkeit auch positive Effekte: So wurde das bulgarische Pendant (Nestinarstvo) 2009 in die UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen, was den kulturellen Wert dieses Feuerlaufs hervorhebt und seine Bewahrung fördert. Trotz aller Einflüsse von außen bleibt das „Fire walking festival“ Anastenaria für ihre Trägergemeinde ein lebendiges Ritual von großer Bedeutung, das Glauben, Geschichte und Gemeinschaft vereint.

In welchen zwei europäischen Ländern wird das alte Feuerlaufritual namens Anastenaria noch immer durchgeführt?

Das Feuerlaufritual Anastenaria wird heute noch in Griechenland und Bulgarien durchgeführt (genauer: Nordgriechenland und Teile Südbulgariens).

Wo genau kann man das Anastenaria-Ritual in Griechenland sehen?

In Griechenland wird das Barfuß-Feuerlaufritual vor allem in folgenden Dörfern in Nordgriechenland praktiziert:

  • Agia Eleni (bei Serres)
  • Langadas (bei Thessaloniki)
  • Mavrolefki (nahe Drama)
  • Meliki (in der Region Imathia)
  • Kerkini (in Zentralmakedonien)

Diese Orte gehören zu den wenigen verbliebenen Gemeinden, in denen das Feuertanzen traditionell und meist im Mai gefeiert wird.

Dokumentarfilm

Der auf Super 8 gedrehte Dokumentarfilm von Margaret Raspé rekonstruiert den ersten Tag des der Anastenaria. In Lagadás, rund 30 Kilometer nördlich von Thessaloniki, begehen die Bewohner dieses Fest jährlich zu Ehren der Heiligen Konstantin und Helena.

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Benjamin
Ich bin Benjamin vom Griechenland Guru. Seit meiner Kindheit reise ich regelmäßig nach Griechenland – mittlerweile lebe ich seit mehreren Jahren hier. Das Land fasziniert mich in all seinen Fassetten immer wieder aufs Neue.